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Panther on Tour: Seriencamp

„Das Publikum bestimmt die Zukunft, nicht die Technologie“

Mit einem Umzug nach Köln festigt das Seriencamp mit Conference und Festival seinen Stand als zentraler Treffpunkt für Branche und Publikum

Das Seriencamp hat nach acht Jahren München seine Zelte nun in Köln aufgeschlagen: Das Cinenova in Köln-Ehrenfeld war vom 14. bis 17. Juni Festivalzentrum und Ideenschmiede in einem. (c) Medien.Bayern GmbH
 

Bewährtes Konzept an neuem Standort: Mit Themen wie KI, Memes und Genre denkt die TV- Streaming-Branche über die eigene Zukunft nach und präsentiert dem Publikum neue Serien-Highlights aus aller Welt.

Sichtlich aufgeregt und stolz ist das Seriencamp-Team am Eröffnungsabend im Cinenova Kino in Köln-Ehrenfeld. Für Programmchef Gerhard Maier, Festivalleiterin Simone Schellmann und Geschäftsführer Malko Solf ist es zwar mittlerweile die 9. Ausgabe, aber trotz aller Routine eine Besonderheit: Anfang des Jahres hat das in München gegründete Festival seine Zelte in der Heimatstadt abgebrochen und in Köln wieder aufgeschlagen. Das sei schneller gegangen, als sie schauen konnten, so Solf. Dennoch sei die Aufregung geblieben, ob die Kölner sich für sie interessieren würden, ergänzt Schellmann mit Blick in ein ausverkauftes Haus. Das sollte es auch bis zum Schluss bleiben: Sowohl Panels als auch Screenings waren alle vier Tage mehr als gut besucht und wurden von der rheinländisch-herzlichen Stimmung der Festivaleröffnung getragen.

Von 14. bis 16. Juni tauschte sich die nationale wie internationale TV- und Streaming-Branche auf der Fachkonferenz zu aktuellen Themen und Trends aus. Das Publikum konnte auf dem Festival bis einschließlich 17. Juni die neuesten Serien-Highlights aus aller Welt sehen, einige davon noch ohne deutschen Starttermin, manche vor kurzem angelaufen, wie etwa bei der Eröffnung „I’m A Virgo“ von Boots Riley oder „Der Greif“ nach Wolfgang Hohlbein, der als Überraschungsgast auftrat.. Sowohl die Conference für Fachpublikum als auch das Festival für Serienfans strotzen inhaltlich vor Aktualität. Rund 30% internationale Gäste bestätigten das durchweg englischsprachige Konzept der Veranstalter:innen.

Die Medienanalystin Johanna Koljonen stellt die Kernpunkte des diesjährigen Nostradamus Report vor (c) Medien.Bayern
Hannes Jacobsen von DRIVE beta wirbt für einen proaktiven Umgang mit künstlier Intelligenz in Unternehmen (c) Medien.Bayern GmbH

 „Erzählt Geschichten für Menschen!“

Als er mit seinem Programmteam die Planung der diesjährigen Seriencamp Conference aufgenommen habe, sei KI bereits auf dem Themenzettel gestanden, so Gerhard Maier, der Programmchef des Seriencamp. Dass sich die Brisanz innerhalb von neun Monaten mehrfach überschlagen würde, damit hätten sie nicht gerechnet. Das Programm zur künstlichen Intelligenz hätten sie seither mehrfach umgeworfen und geupdatet – ein Aufwand, der sich mehr als gelohnt hat. Neben künstlicher Intelligenz stehen Themen wie internationale Koproduktionen, die Macht des Publikums für eine immer unübersichtlicher werdende Serienlandschaft und die Rollen von Genres und Memes für den Markt im Mittelpunkt.

Eines der Highlights ist am zweiten Festivaltag der Auftritt der Finnin Johanna Koljonen. Die Medienanalytikerin des Göteborg Film Festival hatte erst Ende Mai in Cannes den diesjährigen „Nostradamus Report“ vorgestellt und damit eine Vielzahl von Denkanstößen für den Umgang mit künstlicher Intelligenz in der Film- und Serien-Industrie gegeben. Unter dem Titel „Imagining a Sustainable Industry“ fragt der Bericht, wie die Branche die unaufhaltbaren Umbrüche aber auch die Potenziale, die künstliche Intelligenz für die Medienproduktion mit sich bringt, für eine resiliente und nachhaltige Zukunft nutzen kann. Koljonens übergreifendes Ergebnis: Künstliche Intelligenz führt zu einer Demokratisierung des Mediums – sowohl auf Produktions- und Distributionsseite. Underdogs, also kleine und unabhängige Produzent:innen, können besonders von dem viel einfacheren und günstigeren Zugriff auf Werkzeuge profitieren. Damit gingen sowohl ästhetische wie auch erzählerische Folgen einher, so Koljonen: Wenn alle die Möglichkeit haben, beispielsweise hochwertige Special Effects einzusetzen, fällt dem Storytelling wieder eine der wichtigsten Rollen im Produktionsprozess zu. „Erzählt Geschichten für Menschen! Nutzt die Technologie, um unterrepräsentierte und unbekannte Geschichten zu erzählen, die künstliche Intelligenz nicht vorhersagen kann, aber erzählt auch Geschichten für und über die künstliche Intelligenz!” Die Branche müsse aktiv eine Landschaft schaffen, in der künstliche Intelligenz keine Bedrohung, sondern ein normales Hilfsmittel würde, so ihr Fazit.

Hannes Jakobsen, Gründer und CEO der Produktionsfirma DRIVE beta aus Berlin, fügt in seinem Impulsvortrag hinzu: „Wir müssen fragen, was das BESTE ist, das wir mithilfe von künstlicher Intelligenz erschaffen können, statt zu fragen, wie wir das Durchschnittliche am billigsten produzieren können.“ Dafür seien in nahezu jedem Unternehmen grundlegende Regeln für den Einsatz von künstlicher Intelligenz notwendig.

 
Wenn Aufmerksamkeit die neue Währung ist, hat das Seriencamp ein volles Konto: Die Säle von Conference wie Festival waren alle vier Tage sehr gut gefüllt. (c) Seriencamp

„Aufmerksamkeit ist die neue Währung“

Der Produzent George Goettl, ehemals Kreativdirektor des Sportartikelherstellers Nike, greift in seinem Impulsvortrag die Suche nach authentischen Geschichten auf. Mit seiner Produktionsfirma Explorers of the Unfound entwickelt er Stoffe jenseits des Mainstreams und schaut deshalb genau hin, wenn es darum geht, die Bedürfnisse des Publikums aufzugreifen. „Das Publikum bestimmt die Zukunft, nicht die Technologie,” davon sei er überzeugt.

Was für die Boomer-Generation totale Reizüberflutung sei – TikTok, Snapchat und der völlig natürliche Umgang mit mehreren Bildschirmen gleichzeitig – sei für die jungen Generationen völlig normal. Diese könne mehr Information schneller verarbeiten und sei somit eben nicht dauer-abgelenkt, sondern maximal aufnahmefähig. URL und IRL, also virtuelle und reale Welt, seien für sie kein Widerspruch, sondern gingen nahtlos ineinander über – und genau hier müsse die Branche ansetzen. „Aufmerksamkeit ist die neue Währung,“ so Goettl, gerade auf einem Markt, der mittlerweile überflutet sei mit Content auf einer unübersichtlichen Plattform-Landschaft.

Mit seiner Produktionsfirma entwickelt er deshalb Stoffe, die genre- und medienübergreifend denken: „Es geht ausschließlich um den Kontext!“ Das Publikum sei schon lange in der Metamoderne angekommen und nutze Medieninhalte als Dauer-Referenz für die eigene Kommunikation: Mashups und Memes seien hier der Normalfall. Goettl knüpft hier auch Ergebnisse aus dem Kurzpanel „Hype & Memes as Success Factors in Series – B#tch, You Better Be Memeable!“ an, das sich mit der wechselseitigen Kommunikation von Serien mit ihrem Publikum beschäftigt. Die Verselbstständigung von Memes sei eine unschätzbare digitale Währung, so die Medienwissenschaftlerin Jana Zündel, die an der Goethe Universität in Frankfurt zum Kulturphänomen forscht. Im besten Falle entwickelten sich Memes zu „kulturellen Bonmots“, die nicht nur die schon bestehende Fan-Base einer Serie ansprechen, sondern ein neues Publikum auf sich aufmerksam machen und diese dazu veranlassen, die Serie zu sehen. Das beste Beispiel aus den letzten Monaten: Tim Burtons Spin-off der „Addams Family“: „Wednesday“. Es sei jedoch kaum in einer Marketingstrategie planbar, ob eine Serie letztlich Memes auslösen könne. Wichtig sei in jedem Falle, das eigene Publikum zu kennen und damit den Content so ansprechend wie möglich zu machen, um Memes zu begünstigen.

In genau diese Kerbe schlägt Riccarda Schemanns Coming-of-Age-Serie „Feelings“ (funk), die mithilfe einer Multi-Plattform-Distribution maximale Aufmerksamkeit generiert hat – die Erstveröffentlichung fand auf YouTube statt, auf TikTok finden sich zusätzliche Inhalte sowie eigene Accounts der Protagonistinnen. Dass die Serie erst in einem letzten Schritt in den Mediatheken von ARD und ZDF angekommen ist, ergibt nur Sinn. „Feelings“ verwebt klassische Coming-of-Age-Motive mit Fantasy und Horror – eine Kombination, die in Deutschland noch wagemutig wirkt. Schemann berichtet, dass sie an der Filmhochschule mit dem Stoff keine Unterstützung fand – kein Einzelfall. Benjamin Munz, Produzent von Peter Thorwarths internationalem Überraschungserfolg „Blood Red Sky“ (Netflix, 2021) bestätigt Schemanns Erfahrungen: „In Deutschland gibt es keine Horror-Tradition.” Selbst nach dem Erfolg des Films seien vor allem die Öffentlich-Rechtlichen sehr vorsichtig bei Genre-Stoffen. Schemans Rat für junge Genre-Filmemacher:innen, die an ihren Hochschulen keine Vorbilder finden: „Werdet selbst zu Experten!“