Hintergrund: „Dirty Little Secrets“
Im Haifischbecken Musikindustrie
Die dreiteilige Doku-Serie „Dirty Little Secrets“ deckt auf, wer in Zeiten des Musikstreamings das große Geschäft macht. Julia Schweinberger und ihr Recherche-Team erhalten dafür den Blauen Panther in der Kategorie Information / Journalismus.
Man könnte meinen, das goldene Zeitalter der Musikindustrie endete zur Jahrtausendwende. Damals, 1999, lagen die weltweiten Umsätze für Musikaufnahmen ohne Streaming, also vor allem für Tonträger wie CDs und Schallplatten, bei 22,3 Milliarden Euro. Danach ging es stetig bergab. Der Tiefpunkt war 2020 mit 7,6 Milliarden Euro erreicht. Vor allem illegale Downloads auf berühmt berüchtigten Musiktauschbörsen wie Napster, Limewire oder The Pirate Bay sorgten in den 2000er-Jahren für diesen rasanten Rückgang.
Doch Tatsache ist: Der Musikindustrie ging es noch nie so gut wie heute. Genauer gesagt, den großen Musiklabels, also den sogenannten Majors wie Universal, Sony und Warner. Diese verdienen mehr als je zuvor. 2022 beliefen sich deren Umsätze auf 26,2 Milliarden Euro allein durch Streaming. Das neue Geschäftsmodell als Antwort auf illegales Filesharing hat sich für einige wenige in eine wahre Goldgrube verwandelt. Wer in dieser Rechnung jedoch leer ausgeht: ein Großteil der Musiker:innen. Das liegt vor allem an streng geheimen Deals, die Spotify, der mit Abstand größte Streaming-Anbieter, vor Jahren mit den Labels, gemacht hat.
Tacheles statt Talking Heads: „Dirty Little Secrets“ verzichtet auf konventionelle Dokumentarfilm-Muster
Welche schmutzigen Tricks im „Haifischbecken Musikindustrie“ angewendet wurden und nach wie vor werden, das deckt die Doku-Serie „Dirty Little Secrets“ des Bayerischen Rundfunks auf. In drei Folgen geht sie äußerst verständlich der Frage nach, warum es der Musikindustrie so gut geht, vielen Künstler:innen aber nicht.
Die Journalistin Julia Schweinberger, Preisträgerin des Blauen Panthers in der Kategorie Information/Journalismus, und ihr vierköpfiges Recherche-Team brechen dabei wohltuend das gängige Muster konventioneller Investigativ-Formate aus abwechselnden Talking Heads und illustrierenden Schnittszenen auf. Zu Beginn der ersten Folge setzt sich eine illustre Runde deutscher Musikerinnen und Musiker in einem Berliner Club zusammen und legt die Karten offen auf den Tisch. Im Gespräch über ihre Erfahrungen mit Spotify wird schnell klar: Niemand von ihnen kann alleine von Streaming-Abrufen leben. Zu ihnen gehören Szenegrößen wie Balbina, Maeckes, Jennifer Weist oder Rocko Schamoni, aber auch Deutschlands Rock-Legende Peter Maffay. So sind es bei Rocko Schamoni nur 200 bis 300 Euro, die er im Monat mit Streams einnimmt. Ohne Spotify geht es aber auch nicht, zu wichtig ist die Plattform, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Entscheidend für die Auszahlung ist der Verteilungsschlüssel: Spotify bezahlt pro Stream, das Geld aber wandert erst in einen Topf, der an alle auf Spotify vertretenen acht Millionen Künstler:innen verteilt wird, abhängig davon, wie groß ihr Anteil an allen Streams ist. Je häufiger ein Song abgespielt wird, desto mehr ist er also wert. Pro Stream gibt es bei Spotify im Schnitt gerade mal 0,3 Cent. Auch das Land ist entscheidend. Ein Stream in Indien ist weniger Wert als derselbe Click in Deutschland. Verständlich, dass sich mit diesem System nur internationale Superstars wie Ed Sheeran, Billie Eilish oder Taylor Swift, deren Songs hunderte Millionen Streams haben, eine goldene Nase verdienen. Wie das ganze im Detail abläuft, bleibt jedoch unter Verschluss. Auch Connie Zhang, „Head of Music“ von Spotify Deutschland, lächelt kritische Fragen dazu im Interview freundlich weg.
Es ist dabei kaum überraschend, dass manche das System Spotify über die Jahre zu einer regelrechten Parallel-Industrie perfektioniert haben. In ihrer Recherche stoßen die Reporter:innen auf vermeintlich reale Künstler:innen, hinter denen einige wenige Musiker:innen und Labels stecken, die im Akkord gefällige und generische Piano-Tracks produzieren und damit Hunderttausende Euros verdienen. Und ist man erst in den so wichtigen Playlists vertreten, gehen die Streams schnell in die Millionen. Hierfür gibt es wiederum spezialisierte Dienstleister, die sich gegen Bezahlung darum kümmern, dass Musiker:innen in den richtigen Playlists landen.
Spitze des Eisbergs: „Dirty Little Secrets“ ordnet das System Spotify in ein ganzes Ausbeutungssystem ein, das die Musikindustrie bestimmt
Die Serie bleibt jedoch nicht nur bei den großen Profiteur:innen unter den Musiklabels stehen. Die umfangreichen Recherchen der Produktion des Bayerischen Rundfunks zeigen zudem, wie auf Spotify mit sogenannten „Geisterprofilen“ ein Vermögen gemacht wird und wie das Ticketing-Unternehmen Eventim in den letzten Jahren nahezu alle Konkurrenten ausgeschaltet und ein Monopol im Live-Geschäft aufgebaut hat. Denn wenn der Umsatz mit Musikverkäufen bzw. Streaming für die meisten Musiker:innen kaum zum Leben reicht, wird das Live-Geschäft umso wichtiger. Aber wohin geht das Geld für Konzerttickets genau? Das beantwortet die dritte Folge: Zum großen Teil an den Ticketanbieter Eventim, der den deutschen und europäischen Markt dominiert. Seit dem Börsengang im Jahr 2000 hat das Unternehmen zahlreiche Mitbewerber, aber auch Konzert- und Festivalveranstalter aufgekauft. 2017 wollte Eventim bei der Konzertagentur „Four Artists“, gegründet von den Fantastischen Vier, einsteigen. Das Bundeskartellamt untersagte das damals, weil sonst die Gefahr der Marktdominanz durch Eventim bestanden hätte. Nur wenig später, so Smudo von den Fantastischen Vier, hätten etliche Mitarbeiter:innen von Four Artists gekündigt und seien zur neu gegründeten Agentur „All Artists“ gewechselt, die zu 51 Prozent Eventim gehört.
Letztlich ist es eine riesengroße Sauerei, die in der Musikbranche schon seit Jahren vorherrscht. Darüber sind sich alle Musiker:innen am runden Tisch einig. Doch wie soll man sich wehren gegen so mächtige Player wie Universal, deren CEO allein 2022 eine Entlohnung von sage und schreibe 274 Millionen Euro erhielt? Mit dem Ansprechen und Aufdecken dieser skandalösen Ungerechtigkeit ist zumindest ein Anfang getan. Und dazu trägt auch die so erhellende wie unterhaltsame Doku-Serie „Dirty Little Secrets“ bei.