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Blauer Panther

  /  2022   /  Hintergrund: „Charité Intensiv“

Hintergrund: „Charité Intensiv“

Am Limit

Der Dokumentarfilmer Carl Gierstorfer hat die Intensivstation der Berliner Charité durch den ersten Corona-Winter begleitet.

Preisträger Carl Gierstorfer mit Mareike Müller (Idee) und Antje Böhmert (Produktion) (c) Medien.Bayern Johannes Müller

Leben und Sterben auf einer Intensivstation im ersten Corona-Winter: In der aufrüttelnden Dokumentar-Reihe „Charité intensiv: Station 43“ zeigt Carl Gierstorfer Pflegende und Angehörige, die an ihre Grenzen stoßen – und lernte dabei seine eigenen kennen.

Eine menschenleere Landstraße im Dezembernebel, Intensivmedizinerin Sarah Kamel ist auf dem Weg zur Arbeit: „Jetzt in diesen Corona-Zeiten mit Tod und Sterben ununterbrochen konfrontiert zu sein, das ist unser aller Job“, sagt sie. Und dass sie so viele sterbende Menschen innerhalb von einer Woche gesehen habe, wie sonst über Monate hinweg oder im ganzen Jahr. „Das kann sich kein Mensch vorstellen, wie das läuft bei uns.“ Dank der vierteiligen Dokumentationsreihe „Charité intensiv: Station 43“ können wir nun zumindest erahnen, was in den Menschen vorgegangen sein mag, die sich während des ersten Corona-Winters in der traditionsreichen Berliner Universitätsklinik der Pandemie entgegenstellten. Täglich kämpft das Team um an Covid erkrankte Menschen, nicht alle können sie retten. Von Weihnachten bis März begleitete der Journalist Carl Gierstorfer sowohl Pflegende als auch Angehörige – und zeigt Menschen, die an ihre Grenzen stoßen. Die Blauer Panther-Jury: „Die stille Kraft ihrer unglaublichen Einfühlsamkeit macht diese Dokumentation zu einer ergreifenden Erzählung über menschliches Leid und aufopferungsvolle medizinische Fürsorge und gleichzeitig zu einem wichtigen Zeitzeugen-Dokument der Pandemie.“ 

Carl Gierstorfer begleitete die Corona-Station der Berliner Charité durch den ersten Winter (c) rbb/DOCDAYS/Carl Gierstorfer

Was „Charité intensiv: Station 43“ so besonders macht, ist die Unaufgeregtheit, mit der  Gierstorfer den Alltag – und die Not – auf der Intensivstation zeigt. Sätze wie „Wenn man allzu lange braucht, um einen Patienten zu vermitteln und zu versorgen, kann das tödlich enden“, gesprochen von Oberarzt Daniel Zickler, brauchen keine dramatische musikalische Untermalung, um Zeitdruck und Bettenknappheit zu verdeutlichen. Als stiller Beobachter und ohne die oft übliche Begleiterzählung aus dem Off folgt der Dokumentarfilmer den Pflegekräften und Intensivmedizinern, zeigt sie zwischen professioneller Pflichterfüllung, extremer physischer wie psychischer Belastung und dem Hadern mit Entscheidungen, die Auswirkungen auf das Leben der Schwerstkranken haben. Was ist ethisch vertretbar? Wo sind die Grenzen, wenn es gilt, ein Menschenleben zu retten, fragt sich Oberarzt Jan Kruse, während im Hintergrund die lebenserhaltenden Maschinen piepen. „Es kommt vor, dass wir in Situationen kommen, wo wir feststellen: Wir können die Situation leidlich stabil halten, aber wir kommen nicht mehr weg. Dann wird es schwierig.“ Das Leid der Angehörigen auszuhalten und zu begleiten, empfindet nicht nur er als „unheimlich schwierig“. Es komme der Zeitpunkt, wo man zu viel gesehen hat, sagt auch Sarah Kamel. „Die Schublade ist irgendwann voll.“

In den vier rund 30-minütigen Episoden gelingt es Gierstorfer und Co-Autorin Mareike Müller, die Gefühle ihrer Protagonisten fassbar zu machen, ohne dabei sentimental oder gar sensationsheischend zu wirken. Die Jury: „Nah, unaufgeregt, behutsam und respektvoll bewegt sich das Team in einer hoch technisierten Umgebung, die gleichzeitig viele menschliche und intime Momente zulässt und allen Beteiligten ihre Würde lässt.“ Zugewandt, aber immer ruhig zeigt „Charité intensiv: Station 43“ das Leid und die Unberechenbarkeit der tückischen Krankheit, die den Alltag des Stationsteams und der Angehörigen besonders belastet „Wir haben in der ersten Welle keinen einzigen Patienten verloren. Jetzt ist man hier und sieht: Es sterben 80, 90 Prozent“, sagt Intensivmediziner Felix Bangert in der ersten Folge „Sterben“. „Dann fragst du dich: Worauf sollst du noch vertrauen?“ Eine schwer zu beantwortende Frage. In der letzten Folge „Glauben“ sucht eine der Angehörigen Antworten bei Gott.

Sowohl Filmemacher als auch Krankenhauspersonal kamen beim Projekt an ihre Grenzen (c) rbb/DOCDAYS/Carl Gierstorfer

Die Serie inmitten der Pandemie und den damit einhergehenden Regeln umzusetzen, verlangte den Filmschaffenden monatelange Vorarbeit ab. Mareike Müller, vom Medium Magazin 2021 für das „Charité Intensiv“-Projekt zur „Journalistin des Jahres“ gekürt, gelang es schließlich, die Universitätsklinik zu überzeugen und Carl Gierstorfer als selbstdrehenden Regisseur an Bord zu holen. Mit tödlichen Viren hat der Regisseur und Biologe Erfahrung. In seinem Dokumentarfilm „AIDS – Erbe der Kolonialzeit“ (2014) suchte er über mehrere Jahre den Ursprung des HI-Virus. 2017 erhielt er den Grimmepreis für die Doku „Ebola – das Virus überleben“, gedreht im westafrikanischen Liberia.

Trotz seiner Erfahrung ging Gierstorfer die dreimonatige Dreharbeit an die Nieren. Dem Deutschlandfunk gestand er, die emotionale Dimension unterschätzt zu haben. „Ich habe auch geweint.“ Tränen dürften auch viele der rund 2,6 Millionen Menschen vergossen haben, die „Charité intensiv: Station 43“ bislang sahen. Einen Grimme- und den Deutschen Fernsehpreis gab es für das bewegende Zeitzeugnis bereits – nun auch den Blauen Panther.