Interview: „Ferdinand von Schirach – Glauben“
„Schirachs Geschichten berühren uns, weil wir das Gefühl haben, gemeint zu sein“
Produzent Jan Ehlert im Gespräch über die Serie „Ferdinand von Schirach – Glauben“
Drehbuchautor und Produzent Jan Ehlert von der Moovie GmbH war bereits an mehreren Adaptionen der Werke von Ferdinand von Schirach beteiligt. Für die Serie „Ferdinand von Schirach – Glauben“ arbeitete er sehr eng mit dem Bestseller-Autor zusammen. Als Vorlage dienten die Wormser Prozesse, ein Missbrauchsverfahren, das in den 1990er-Jahren zum Justizskandal wurde. Im Gespräch erzählt der Produzent, was die Serie so besonders macht.
Herr Ehlert, Sie sind mittlerweile Experte, was Schirach-Verfilmungen angeht. Wie würden Sie den Erfolg seiner Geschichten – gerade auch in Film und Fernsehen – erklären?
Jan Ehlert: Ferdinand von Schirachs Werk der letzten 12 Jahre umfasst eine ziemliche Bandbreite, darum ist das gar nicht so leicht pauschal zu sagen. Kurzgeschichten, Romane, Theaterstücke, jetzt Drehbücher – es muss sich also um etwas handeln, was all diese Stoffe dennoch gemeinsam haben. Vielleicht, dass es immer darum geht, wer wir sein wollen, wie wir zusammenleben wollen. Das Recht, das unser Zusammenleben organisieren soll und dabei zwangsläufig anfällig ist für Fehler und Schwächen, ist ein guter Ausgangspunkt dafür. Wir können uns über unser Gerechtigkeitsempfinden mit den handelnden Figuren identifizieren und wollen darum die durch die Verfilmungen aufgeworfenen Fragen diskutieren. Mit anderen Worten: Ferdinand von Schirachs Geschichten berühren uns, weil wir das Gefühl haben, „gemeint“ zu sein.
Konkret mit Blick auf „Glauben“: Was reizte Sie an diesem Stoff und warum ließ er sich am besten als Serie (und nicht etwa als Film) erzählen?
Ehlert: „Glauben“ ist mit Blick auf die Laufzeit keine sehr lange Serie, solche Längen hat man auch schon als Zweiteiler oder vereinzelt als langen Film gesehen. Die Einteilung in Serienfolgen ermöglicht aber einen anderen dramaturgischen Umgang mit der Erzählung. Die Folgen selbst sind mit 30 Minuten relativ kurz, gleichzeitig konnten wir den Figuren viel Raum geben und sie in aller Ruhe entwickeln und in die Geschichte weben. Diese Figuren – insbesondere die Hauptfiguren Schlesinger und Azra – sind das, was mich am meisten gereizt hat. Wie die geschrieben waren. Das ist es glaube ich auch, was eine so besondere, schöne Besetzung mit Peter Kurth und Narges Rashidi ermöglicht hat. Aber nicht nur bei den Rollen, sondern auch bei den Kreativen hinter der Kamera ist das aufgegangen.
Schirach schrieb in diesem Fall das Drehbuch selbst. Wie genau sah Ihre Zusammenarbeit aus, vor, aber womöglich auch während der Produktion?
Ehlert: Das war eine sehr enge Zusammenarbeit, die bereits auf die vielen gemeinsamen Verfilmungsprojekte aufgebaut hat, für die ich teilweise ja auch selbst geschrieben habe. Das hat es sehr leicht gemacht, Ferdinand von Schirach in der Entwicklung von der ursprünglichen Idee an zu begleiten. Ich hatte schon eine sehr klare Vorstellung, worum es ihm geht oder wie etwas in den Drehbüchern gemeint ist – gerade bei juristischen Fragen ist das wichtig. Oder wenn es um Humor geht. Ich habe die Genauigkeit Ferdinand von Schirachs als Autor schon erwähnt, „Glauben“ lebt und profitiert davon sehr. Meine Aufgabe war, gemeinsam mit der Producerin Sandra Gürtler, diese Genauigkeit ins fertige Produkt zu überführen.
Als Vorlage diente ein wahrer Fall, die Wormser Prozesse, die noch keine 30 Jahre zurückliegen. Was galt es da aus erzählerischer, aber womöglich auch juristischer Perspektive besonders zu beachten?
Ehlert: Es ging uns bei „Glauben“ nicht darum, die Ereignisse in Worms aus den 1990er-Jahren zu verfilmen. Unsere Geschichte spielt bewusst in der Jetztzeit, es gibt aber gesellschaftliche Phänomene, die, auch wenn die Wormser Prozesse über 25 Jahre zurückliegen, der damaligen Dynamik nicht unähnlich sind. Die mediale Aufmerksamkeit damals war unglaublich groß und praktisch alle waren von Anfang an von der Schuld der Angeklagten überzeugt und haben auch dementsprechend berichtet. „Trial by media“ würde man heute sagen. Das hat nicht nur eine Grundhaltung in der Gesellschaft definiert, sondern auch die Prozessbeteiligten massiv beeinflusst. Am Ende der Prozesse – für einige der Beschuldigten hieß das: nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft – wurden alle Angeklagten freigesprochen.
Heute leben wir in einer Zeit, in der besonders im Bereich von Social Media oder zumindest dadurch verstärkt immer wieder die Voraussetzung für ähnlich gelagerte Fälle gegeben ist. In einem Rechtsstaat müssen die Dinge aber vor ordentlichen Gerichten verhandelt werden. Vernünftig, entschleunigt, nach den geltenden Gesetzen. Unsere Demokratie baut darauf auf.
Der Tonfall der Serie ist spannend, denn er lässt Raum für Humor. Warum war das wichtig?
Ehlert: Natürlich kann man sagen, dass gerade sehr schwere Themen im Humor eine Art Ausgleich finden, das mag für eine Serie, der man ja länger folgen und mit der man sich immer neu „verabreden“ muss, sogar besonders wichtig sein. Und dann haben richtig gute Serien auch immer von allem etwas, wie das echte Leben auch. Aber bei „Glauben“ geht es vor allem darum, was wir uns im Umgang miteinander antun, wie schnell wir urteilen und Meinungen bilden, übernehmen, senden – gerade in der Kommunikation über das Internet, die Netzwerke. Ich denke, es ist besonders wichtig, in diesem Kontext keinen Raum für Zynismus zu lassen. Humor hilft dabei sehr. Wir können Zustände beleuchten, ohne sofort zu spalten. Humor hilft auch zu kritisieren: Wir lachen, wissen aber dabei, dass es nur lustig ist, wenn etwas Wahres dran ist. Ich glaube, Humor ist vernünftig.
Daniel Prochaska steht als Regisseur noch am Anfang seiner Karriere. Was machte ihn zum idealen Mann für den Job?
Ehlert: Ich würde eher sagen, Daniel Prochaska hatte in Deutschland vor „Glauben“ noch nicht als Regisseur gearbeitet. Er hat tatsächlich schon eine ganze Menge gemacht, auch als Regisseur. Und er kommt vom Schnitt, wie man so schön sagt, er hat schon vor mehr als zehn Jahren die Filme seines Vaters Andreas Prochaska geschnitten. Das führt dazu, dass er wahnsinnig viel über das filmische Erzählen weiß. Wir wollten gerne eine junge, frische Inszenierung und Visualität. Daniel Prochaska hat all das und in Verbindung mit Matthias Pötsch, seinem kongenialen Kameramann, sind die beiden für mich ein echtes Dreamteam. Als ich Daniel auf Empfehlung meines österreichischen Kollegen Gerald Podgornig den Stoff geschickt habe, war im ersten Gespräch klar, dass er alles sofort verstanden hat. Den Ton, die Charaktere, die Geschichte sowieso. Und er hatte sehr große Lust auf das Projekt. „Talent und Bock drauf“ – besser geht es nicht.
Dass Peter Kurth ein Ausnahmeschauspieler ist, ist kein Geheimnis. Wie früh hatten Sie ihn für die Rolle im Sinn und was brachte er mit, das diese Rolle brauchte?
Ehlert: Ich kannte Peter Kurth von der Zusammenarbeit bei „Die Protokollantin“ von Nina Grosse, wo er die männliche Hauptrolle neben Iris Berben übernommen hatte. Ich fand das unglaublich, was er da gemacht hat. Er war tatsächlich die erste Idee für die Rolle, obwohl Schlesinger in der Kurzgeschichte „Die falsche Seite“, aus der die Figur stammt, ganz anders beschrieben ist. Mir war klar, dass Peter diese Figur auf ein anderes Level bringen kann. Die Frage war, ob er das auch so sieht, denn Schlesinger redet ziemlich viel, das kann man weder von Peter Kurth noch von den sonst so von ihm verkörperten Figuren behaupten. Wir haben ihm die Bücher geschickt, nach dem Motto: „Versuchen kann man es ja.“ Zwei Tage später klingelt mein Telefon, Peter ist dran und sagt nur: „Ich hab’s gelesen, wann drehen wir?“ Von da an war alles klar. Wenn sie einen solchen Spieler haben, der eine Rolle nicht nur spielen, sondern der Kern der Show sein will, dann ist das wie ein Motor für alle folgenden Schritte. Und Peter hat locker 1000 PS.