Interview: Caroline Link
Die faszinierende Welt der seelischen Heilung
Die Regisseurin, Drehbuchautorin und Oscar-Preisträgerin Caroline Link zeigt mit „Safe“ eine Serie über die Arbeit zweier Kinder- und Jugendpsycholog:innen.
Caroline Link erhält für die Regie der Serie „Safe“ beim Blauen Panther 2023 den Jurypreis in der Kategorie Fiktion. Im Interview sprachen wir mit Link über die Arbeit an ihrer ZDF-Serie, den therapeutischen Effekt und die heilende Kraft der Fiktion.
Die Psychotherapie-Serie „Safe“ zeigt die Arbeit zweier Kinder- und Jugendpsycholog:innen im Therapiealltag. Was hat Sie an der Thematik fasziniert und wie kam es zur Idee, speziell diese Therapieform abzubilden?
Caroline Link: Das Thema Kindheit stand für mich bei „Safe“ im Vordergrund. In meiner Arbeit spielen Kinder immer schon eine große Rolle. Auch weil ich weiß, dass die eigene Kindheit der Schlüssel dafür ist, sich selbst und andere besser zu verstehen. Als Regisseurin und Autorin setze ich mich mit der Gestaltung von Figuren auseinander, deshalb muss mich Psychologie interessieren. Ich bin sehr froh, dass das ZDF mir die Möglichkeit gegeben hat, in dieser Serie meine beiden Leidenschaften Kindheit und Psychologie in dieser Tiefe zu behandeln.
Das Therapiesetting als solches hat etwas extrem Reduziertes, dadurch auch Inszeniertes an sich. Begreifen Sie die Therapiesituation als eine Art existenzielle Bühne?
Link: Nein, im Gegenteil. Eine Bühne ist ja etwas für Zuschauer:innen. Und ein Ort, an dem man performt. Ich empfinde diesen geschützten Raum – besonders im Fall der Kinderpsychotherapie – als eine intime Angelegenheit zwischen zwei Personen. Ziel dieser Therapieform ist es, Kindern ihre eigene Gefühlswelt zu spiegeln und sich selbst als Therapeut:in nicht mit viel eigener Meinung oder Ratschlägen nach vorne zu drängeln. Durch das Wiederholen des Gesagten sollen die Kinder ihre komplizierten Empfindungen selbst ein bisschen besser verstehen.
In vielen Kinofilmen und TV-Serien erscheinen psychische Probleme und Krankheiten oft als gefährlicher Wahn. Sie hingegen setzen auf das Prinzip Realismus. Was macht ihn beim Thema so wichtig?
Link: Realismus war mir absolut wichtig. Ich wollte die Fälle nicht künstlich aufladen und nur die extremen Erkrankungen zeigen. Ich habe mich bei den Kindern ganz bewusst für Fallbeispiele entschieden, die im Alltag vielleicht sogar übersehen werden würden. Ich wollte zeigen, dass es seelische Not gibt, die der Therapie bedarf, die überhaupt nicht extrem ist und trotzdem einen großen Leidensdruck erzeugen kann.
Sah ihre Vorbereitung auf „Safe“ anders aus als bei anderen Projekten?
Link: Ja, normalerweise mache ich mir vor allem Gedanken über die Dramaturgie der Geschichte und denke über Spielorte nach. Was findet wo statt? Welche Szene folgt auf welche? Hier war meine Arbeit anders und konzentrierte sich vor allem auf zwei Personen in einem Raum. Da ich selbst keine Therapeutin bin, hatte ich zwei Psychotherapeut:innen, die mich bei der Arbeit beraten haben. Mit ihnen gemeinsam habe ich die Drehbücher geschrieben.
Das hört sich nach viel Recherchearbeit an. Sie haben selbst auch ausgiebig wissenschaftliche Texte zum Thema konsultiert. Wie bereitet man die Theorie dem Publikum praktisch-filmisch auf?
Link: Ich versuche in all meinen Arbeiten die Zuschauer:innen über Emotionen zu erreichen. Auch wenn es so wirkt, als seien die Episoden in Echtzeit gefilmt, konzentrieren sie sich jeweils auf ein paar Highlights einer therapeutischen Begegnung. Mein beratender Therapeut, Curd Michael Hockel, hat mir einmal gesagt, Kindertherapeut sei eigentlich der langweiligste Beruf auf der Welt, über viele Stunden passiert gar nichts. Und dann, auf einmal ist es, als gehe ein Engel durch den Raum und das Kind öffnet sich.
Genau dieser Moment hat Sie am meisten beim Drehen interessiert?
Link: So ein Moment erfordert viel Vorarbeit. Das konnte ich natürlich nicht alles zeigen. Es wäre zu langatmig für eine Fernsehserie. Deswegen habe ich versucht, diese kleinen Bewegungen in die richtige Richtung, auf den therapeutischen Effekt hin, zu kondensieren. Ich versuche die Zuschauer:innen in diese faszinierende Welt der seelischen Heilung mitzunehmen.
Glauben Sie, dass die Kunst selbst – vielleicht auch Ihr eigenes Filmemachen – eine therapeutische Wirkung haben kann?
Link: Ich habe mir mit „Safe“ gewünscht, Menschen zu erreichen, die noch keine Erfahrung mit Therapie gemacht haben und vielleicht auch keine Vorstellung davon haben, was in so einem Therapiezimmer, hinter verschlossenen Türen, überhaupt geschieht. Das habe ich mich zuvor auch selbst gefragt, weil ich mir dachte, dass man mit Kindern ja nicht ständig nur über Probleme reden kann. Bis ich von der Bedeutung des Spiels in der Kindertherapie erfahren habe. Ich habe mir gewünscht, bei den Zuschauer:innen unbewusst etwas in Gang zu setzen. Und glaube auch, dass man als Zuschauer:in in der Serie tatsächlich ein bisschen mittherapiert wird. Unbewusst nehmen die Zuschauer:innen die urteilsfreie Sprache wahr, und wie wohltuend es ist, wenn man einem kleinen (oder großen) Menschen mit einer so bedingungslosen Wertschätzung begegnet.
In einer Szene von „Safe“ kommt dem Filmklassiker „Lawrence von Arabien“ eine große Rolle zu. Der Therapeut zitiert die berühmte Stelle, in der es heißt: „Nichts steht geschrieben“. Hier zeigt sich die Wirkung, die der Inhalt eines Films auf die Seele des Menschen haben kann, oder?
Link: „Lawrence von Arabien“ fand ich immer schon super. Oft glauben Menschen, sie sind ihrem Schicksal ausgeliefert. Sie können an ihrem Leben nichts Wesentliches verändern. An der Stelle möchte ich immer heftig widersprechen. Weil diese Annahme zu einem Gefühl von Ohnmacht führt. Und die Ohnmacht führt zur Depression. Im Sinne von „Lawrence von Arabien“ würde ich immer sagen: Nimm dein Leben in die Hand und versuche das Unmögliche möglich zu machen.