Porträt: Dimitrij Schaad
Tausendsassa auf der Überholspur
Dimitrij Schaad fühlt sich als Schauspieler überall zuhause: Ob auf der Theaterbühne, im Fernsehen oder auf der Kinoleinwand. Und verstärkt auch im Schreiben eigener Stoffe.
„Kleo“ gehört zweifellos zu den erfolgreichsten deutschen Serien der letzten Jahre. Daran hat nicht nur Jella Haase als erbarmungslose Profikillerin auf Rachefeldzug ihren Anteil, sondern auch Dimitrij Schaad in seiner kongenialen Rolle als hochmotivierter aber leicht tollpatschiger Polizist Sven Petzold, für die er mit einem Blauen Panther als bester Nebendarsteller nominiert ist.
Er wittert die große Chance. Endlich raus aus seinem öden Job im Betrugsdezernat und rein in die Mordkommission. Der Polizist Sven Petzold war Zeuge eines Mordes im Westberliner Club Big Eden. Kleo Straub, Auftragsmörderin und Stasi-Agentin, hat dort einen Mann auf dem Männerklo liquidiert. Als die Kollegen aus der Mordkommission den Tatort erreichen, beschreibt Sven ihnen die verdächtige Person: „Also, weiblich, ungefähr 1,65m groß, Mitte, Ende 20, sehr attraktiv, ziemlich gut trainierter Körper mit einem Messer hier am Bein. So ein entschlossener Gang und ein Blick … wie so ein Tiger.“ Aufgeregt schiebt er ihnen noch ein selbst gezeichnetes Phantombild zu. Doch die Beamten haben nur ein müdes Lächeln für ihn und seine bescheidenen Malkünste übrig und lassen ihn links liegen.
Sven Petzold ist der treudoofe aber ehrgeizige Polizist, den seine Kolleginnen und Kollegen partout nicht ernst nehmen. Dabei könnte er mit seinem blaugrauem Sakko, die Ärmel leicht hochgekrempelt, und dem ausgefallenen Retrohemd mit buntem Tapetenmuster durchaus der Sonnyboy unter den Polizisten sein. Zusammen mit seinem Ford Mustang ist er das perfekte Abziehbild von James Crockett aus der US-Kultserie „Miami Vice“. Der Schauspieler Dimitrij Schaad verleiht dabei Petzold mit seinem dunklen Wuschelkopf, den leichten Grübchen und dem verschmitzten Blick eine unvergleichlich naive und unschuldige Note. Das kann ebenso über Marc-Uwe gesagt werden, Schaads Rolle in seinem Spielfilmdebüt „Die Känguru Chroniken“ (2020), in dem er den verplanten Kleinkünstler spielt, der mit einem kommunistischen Känguru zusammenwohnt und sich mit einem neurechten Immobilienhai anlegt. Beide Rollen katapultierten Schaad an die Spitze der gefragtesten Schauspieler*innen im deutschen Filmgeschäft.
Zwei Herzen schlagen in seiner Brust: Dimitrij Schaad ist sowohl im Theater als auch auf den Leinwänden und Bildschirmen zuhause
Dabei verschrieb er sich zunächst ganz dem Theater. Geboren wurde er 1985 in der damaligen Sowjetrepublik Kasachstan. Als er acht Jahre alt war, siedelte seine Familie nach Deutschland über, wo er nach dem Abitur Schauspiel an der Bayerischen Theaterakademie August Everding studierte. Danach ging es an das Staatliche Institut der darstellenden Kunst in St. Petersburg. Seine ersten Rollen spielte er im Metropoltheater in München und in den Münchner Kammerspielen. Danach folgten erste Engagements am Schauspiel Essen und im Schauspielhaus Bochum. 2014 wählten ihn die Kritiker:innen der Theaterzeitschrift „Theater heute“ zum Nachwuchsschauspieler des Jahres. Seine produktivste Zeit hatte er von 2013 bis 2019 als festes Ensemblemitglied des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Dort gehörte er unter der Leitung von Shermin Langhoff und Jens Hillje zu den prägendsten Schauspieler*innen des Hauses. Es gab kaum ein Stück, in dem er nicht einen Monolog sprach. „Ich wünschte, ich könnte vom Theater ablassen, aber ich kann es nicht. Ich spiele unglaublich gerne Vorstellungen, weil es das unvorstellbar schönste Gefühl ist“, erzählte er 2019 dem Deutschlandfunk, als er sich von der Bühne zurückzog, um eine Pause aufgrund von Erschöpfung einzulegen. Wenn er nicht auf der Bühne stehe, bekomme er „Entzugserscheinungen wie ein Heroin-Junkie.“
Ruhig halten kann sich Schaad seit seinem Theaterabgang definitiv nicht. Die Pause nutzt er, um seine Karriere als Film- und Fernsehschauspieler voranzutreiben. Erste Rollen bekam er in Serien wie „Killing Eve“ (2020), „Das Boot“ (2018) oder „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (2021). Dabei dürfte ihn vor allem der aufkeimende Streamingmarkt vor die Kamera gelockt haben, wie er in einem Interview mit der FAZ andeutete: „Mit dem Start der Streamingdienste in Deutschland veränderte sich das Angebot für die Zuschauer. Und auch für die Schauspieler, die auf einmal völlig andere Rollen spielen durften, die es davor im deutschen Fernsehen, im linearen Fernsehen, so nicht gab, eröffnete sich ein riesiger Spielmarkt mit neuen Möglichkeiten. Da ist die Versuchung dann sehr groß, dorthin umzusteigen. Wenn ich heute Abend im Theater eine Vorstellung spiele, dann werden etwa 450 Leute im Zuschauerraum sein. Wenn aber meine nächste Streaming-Serie rauskommt, dann werden diese Millionen Menschen weltweit sehen und das ist sehr absurd. Und für viele Leute sehr verlockend.“
Unschlagbares Duo: Mit seinem Bruder Alex Schaad arbeitet Dimitrij schon von Anfang an zusammen
Die Zeit abseits der Theaterbühne nutzte Schaad auch, um eigene Stoffe voranzutreiben. 2022 feierte die von ihm mitgeschriebene Boulevard-Komödie „Operation Mindfuck“ über die Auswirkungen von Verschwörungstheorien auf unsere Gesellschaft ihre Premiere im Maxim-Gorki-Theater und wurde von Kritiker:innen sowie dem Publikum frenetisch gefeiert. Seine Neigung für das Schreiben eigener Stücke hängt vor allem mit seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Alex Schaad zusammen, der als Filmregisseur tätig ist. Beide arbeiten seit Alex‘ Bewerbungsfilm für die Hochschule für Fernsehen und Film München eng zusammen. Mit ihrem gemeinsamen Film „Invention of Trust“, ein Übungsfilm an der Filmhochschule, gewannen sie 2016 den Studierendenoscar. Dimitrij Schaad schrieb dafür nicht nur das Drehbuch, sondern spielte auch die Hauptrolle, einen Lehrer, der eines Tages damit konfrontiert ist, dass ein Unternehmen seine gesamten Internet- und Handydaten gekauft hat und ihn damit erpresst. Nur gegen eine monatliche Gebühr könnte er verhindern, dass seine privaten Profile, Fotos und Nachrichten öffentlich werden. Wie radikal und schnell würde sich unsere Gesellschaft verändern, wenn alle Informationen aus dem Netz öffentlich zugänglich würden, lautet die Frage, aus der die beiden ihren klug inszenierten Thriller über Social-Media konstruierten.
In eine ähnliche Kerbe schlägt auch das letzte gemeinsame Projekt der beiden Brüder. In „Aus meiner Haut“ (2022) ist es wieder ein Gedankenspiel, das Alex und Dimitrij Schaad, der auch das Drehbuch schrieb und eine der Hauptrollen übernahm, umtrieb. Denn was wäre, wenn man den Körper mit einem anderen Menschen tauschen könnte? In ruhig erzählten Bildern geht der Film der Frage nach, was uns und diejenigen, die wir lieben, überhaupt ausmacht und wie weit diese Liebe geht. Für Dimitrij Schaad und seinen Bruder ist der Film ein weiterer Schritt auf der Karriereleiter nach oben. „Aus meiner Haut“ wurde in der Kritikerwoche im Rahmen der Internationalen Filmfestspielen in Venedig gezeigt und gewann den Queer Lion Award sowie den Bayerischen Filmpreis für das beste Nachwuchs-Drehbuch 2022.
Seit kurzem kümmert sich Schaad auch um den Schauspielnachwuchs. Als freier Dozent unterrichtet er die Studierenden an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Sein Engagement in Film und Fernsehen scheint jedoch keine kurzweilige Liaison zu sein, wie man nach seiner Pause vom Theater hätte annehmen können. Im Sommer war er in Charly Hübners Regiedebüt „Sophia, der Tod und ich“ (2023)in der Hauptrolle zu sehen. In der Verfilmung von Thees Uhlmanns skurrilem Bestsellerroman, klingelt der Tod an der Tür von Reiner, gespielt von Dimitrij Schaad, um ihn mitzunehmen. Doch der Tod scheitert überraschend. Denn an der Tür klingelt Sophia, die mit ihrem Ex-Freund zum Geburtstag seiner Mutter verabredet ist. Ein irrwitziger Roadtrip beginnt. Neben seiner Rückkehr als Sven Petzold in der zweiten Staffel von „Kleo“, die im Sommer abgedreht wurde, arbeitet er bereits an einem neuen Projekt mit seinem Bruder. Zudem ist er in Vorbereitung für eine neue Streaming-Serie. Sein „Theater-Sabbatical“ dürfte also noch etwas länger dauern.