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Blauer Panther

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Panther on Tour: Berlinale

Der Blaue Panther zu Besuch beim Berliner Bären

Nach zwei Jahren Zwangspause konnte die Berlinale dieses Jahr den Normalbetrieb wiederaufnehmen.

Das Herz der Berlinale: der rote Teppich am Potsdamer Platz (c) Alexander Janetzko Berlinale 2020

Die TV- und Streaming-Branche traf sich Ende Februar nach zwei Jahren Zwangspause endlich wieder auf der Berlinale. Während internationale Gäste in den Kinos ihre neuesten Filme präsentierten, ging es auf dem European Film Market um die Herausforderungen und Chancen einer Branche im Umbruch. Digitaler Fortschritt und neue Sehgewohnheiten des Publikums, aber auch die Nachwirkungen von Pandemie und Inflation wirken sich auf alle Gewerke aus – bringen jedoch auch Potenzial mit sich.

Die Erleichterung war allen ins Gesicht geschrieben: Endlich wieder Normalbetrieb! Die Berlinale 2021 musste komplett ausfallen und konnte 2022 lediglich ein Notprogramm fahren. So war die diesjährige 73. Ausgabe die erste, die nach der Pandemie wieder wie gewohnt stattfinden durfte. Neben dem offiziellen Festivalprogramm, das sich auf den roten Teppichen und in den Kinos abspielt, trifft sich die internationale Film- und Serienbranche auf dem European Film Market (EFM), um neue Projekte anzustoßen, Rechte zu verhandeln und zukunftsträchtige Ideen zu entwickeln. Der Martin Gropius Bau stand vom 17. bis 21. Februar wieder ganz im Zeichen der Medienbranche. Das nahe gelegene Dokumentationszentrum diente als zusätzlicher offizieller Veranstaltungsort, ganz Berlin als inoffizieller Treffpunkt.

Ruby O. Fee und Matthias Schweighöfer beim FFF Empfang in Berlin (c) Bayerische Staatskanzlei – Henning Schacht
Bettina Reitz (HFF München), Dorothee Erpenstein (FFF), Mariette Rissenbeek (Berlinale), Judith Gerlach (Bayerische Staatsministerin für Digitales) und Schauspielerin Bibiana Beglau auf dem FFF Empfang (c) Bayerische Staatskanzlei – Henning Schacht

Zwei Jahre sind eine lange Zeit für eine Branche, die im Rhythmus der Festivals und Preisverleihungen funktioniert und so waren die Panels, Pitches, Showcases, Interviews und Meetings zu jeder Tageszeit bis auf den letzten Platz besetzt. Bereits auf dem Empfang der FilmFernsehFonds Bayern GmbH (FFF) in der Bayerischen Vertretung flanierten einige Bekannte des Blauen Panthers über den roten Teppich und erzählten angeregt von ihren neuen Projekten: Frank Kusche und Matthias Schweighöfer („Beliebtester Film“ 2022: „Army of Thieves“), Hanno Hackfort („Bestes Drehbuch“ 2022 für „Funeral for a Dog“), Oliver Berben (Nominierung „Beliebtester Film“ 2022: „Die Wannseekonferenz“) sowie Dominique Devenport und Jannik Schümann (Nominierung „Beliebteste Serie“ 2022: „Sisi“).

Hier trifft sich die Branche: Der European Film Market im Martin Gropius Bau (c) Lia Darjes EFM

Chancen aus der Krise: „Shift Happens“

Trotz der durchwachsenen Jahre, die auch an der Film- und Fernsehbranche nicht spurlos vorübergegangen sind, ergingen sich die Gäste keineswegs im Wundenlecken. Vielmehr war eine Aufbruchstimmung zu spüren und das diesjährige Motto der Market Sessions lautete dementsprechend selbstironisch „Shift Happens“. So waren die vielen Verschiebungen innerhalb der Medien, der Publikumsstruktur, aber auch der Produktionsbedingungen und der politischen Weltlage Thema. Die Pandemie sei nur eine von vielen regelmäßig auftretenden Krisen, der sich die Branche zu stellen habe, so die amerikanische Produzentin Christine Vachon, doch aus großen Krisen entstünden auch immer große Chancen.

Dass diese Parole nicht nur Wunschdenken ist, machten sowohl Produzent:innen als auch Streamingplattformen und Rundfunkveranstalter deutlich. Zwar hinke die TV- und Filmindustrie gerne hinter der Musikbranche her, so Vachon, doch müsste sie sich vor allem am Publikum orientieren. Dieses sei mittlerweile nun einmal nicht nur auf ein Medium festgelegt, sondern konsumiere Bewegtbild sowohl auf dem Handy als auch auf der großen Leinwand. Es sei kurzsichtig zu behaupten, das Kino sei tot, oder würde immer weiterleben – die Wahrheit liege für jedes einzelne Medium irgendwo dazwischen.

Die schwedische Produzentin Helena Danielsson hält deshalb die Nachwuchsförderung für unabdingbar: „Ein Boomer ist eben ein Boomer,“ und könne nicht ewig mit den neuen Techniken und Erzählformen Schritt halten, die das junge Publikum jedoch verlange. Flexibilität und Adaptionsfähigkeit bedingen also auch hier Innovation. Danielsson hält weiterhin lokale Produktionen und Strategien für essenziell und organischer als den weltweiten Streaming War, der im letzten Jahrzehnt ausgebrochen ist. Lokale Förderungen und Netzwerke seien deshalb besonders wichtig. Das bestätigte auch das Produktionsteam der FFF-geförderten Serie „Davos“, deren Dreharbeiten noch während der Pandemie starteten und von den Preissteigerungen im Zuge des Ukraine-Krieges getroffen wurden. Die lokalen Förderer seien hier sehr entgegenkommend gewesen, so Lioba Craemer und Ivan Madeo.

Jono und Benji Bergmann beim Blauen Panther 2022 (c) Medien.Bayern - Ralf Wilschewski

Egal ob international oder lokal, ob digital oder linear: Das Motto lautet „story first“

Was sich jedoch nicht verändert habe, sei die Maxime der „story first“ – man müsse immer von guten Geschichten und Figuren ausgehen. Diese bestimmten dann, in welchem Format und auf welcher Plattform sie am besten erzählt werden könnten, so der Berliner Produzent Roman Paul. Er komme zwar vom klassischen Kino, „Fernsehen und Serien sind aber auch keine höhere Mathematik.“ Auch wenn er hier nicht alle Player kenne, sei er mit Kaltakquise schon mehrfach gut gefahren.

Jono Bergmann, der 2022 gemeinsam mit seinem Bruder Benji Bergmann den Blauen Panther für den Dokumentarfilm „Wirecard – Die Milliarden-Lüge“ erhielt, ging hier noch weiter ins Detail: Die Trennung von Kirche und Staat sei für ihn nicht mehr gegeben – mit ihrer Produktionsfirma Babka entwickeln sie Themen, die sowohl dokumentarisch als auch fiktional funktionieren. Aktuell arbeiten die beiden an einem Thema, für das sie viele Quellen aus dem Zweiten Weltkrieg sichten mussten und lange nach Zeitzeug:innen suchten. Solange nicht klar war, ob sie noch Überlebende finden würden, gingen sie deshalb davon aus, den Stoff fiktional aufzuarbeiten. Als sie jedoch spät im Rechercheprozess noch zwei Zeitzeug:innen finden und interviewen konnten, sei plötzlich auch ein dokumentarisches Format möglich geworden: Jono und Benji Bergmann produzieren nun kurzerhand beide. „Geschichten haben viele Möglichkeiten, erzählt zu werden – sowohl in der Tonalität als auch von der Perspektive.“ Sorge, dass diese sich gegenseitig kannibalisieren könnten, habe er deshalb nicht.

Wirecard – Die Milliarden-Lüge produziert von Babka Film der Gebrüder Bergmann (c) SFFC Ness Whyte

Der Begriff der Stunde: „intellectual property“

Die Bergmann-Brüder reagieren mit ihrer Herangehensweise auf eine Entwicklung des Marktes, die sich mit dem Buzzword „IP“ zusammenfassen lässt – wobei das „intellectual property“, das geistige Eigentum, Stoffe bezeichnet, die mit einem Copyright belegt sind: historische Stoffe, Storys um Firmengeschichten oder verfilmte Zeitungsrecherchen wie etwa in Michael Herbigs „1000 Zeilen“ (2022) über die Aufdeckung der erfundenen Reportagen von Claas Relotius oder Maria Schraders „She Said“ (2022) über die Recherchen der New York Times, die zum Weinstein-Skandal führten. Die Rechte für solche Stoffe sind oft sehr teuer, die Verhandlungen um Mitspracherecht der ursprünglichen Eigentümer mühsam. Jono Bergmann erklärt, sie bezögen schon sehr früh Journalist:innen in ihren Rechercheprozess mit ein und entwickelten dann gemeinsam Themen und Stoffe.

Dass die unabhängige Entwicklung solcher Stoffe wichtig ist, zeigte Christian Beetz von der gebrüder beetz filmproduktion. Für Sky stellt er gerade eine Dokumentarserie über den spanischen König Juan Carlos und dessen politische Skandale fertig: „Juan Carlos – Liebe, Geld, Verrat“. Er sagt selbst, dass er trotz einiger Erfahrungen mit spanischen Koproduktionen naiv an das Thema herangegangen war: Selbst der Entwicklungsprozess stellte sich als eigener Krimi heraus, bei dem der spanische Geheimdienst früh signalisierte, dass tiefere Recherchen nicht erwünscht seien. „Unsere Anwälte haben gut zu tun,“ lächelt er vielversprechend. Aufgrund der systemischen Abschirmung durch die Politik seien dann auch früh erste Partner abgesprungen, so Beetz. Hier habe es sich als Drahtseilakt herausgestellt, neue Gelder zu akquirieren, denn die aktuellen Auswertungsmöglichkeiten verhinderten eine Zusammenarbeit von klassischen Fernsehanstalten und Streamern: bei einer laufenden Produktion ein nahezu unlösbares Dilemma.

Medienanalyst Guy Bisson von Ampere Analysis bestätigte, dass Streamer sich den Rundfunkanstalten langsam auch annäherten: Im Jahr 2020 habe der Verkauf von Online-Anzeigen zum ersten Mal die klassische Fernsehwerbung überholt, was das „ad supported streaming“ zu einem der wichtigsten Märkte für Werbung und Marketing mache. Das biete auch für Streamer, die mittlerweile kostenlose Angebote mit Werbeunterbrechungen (free ad supported streaming television, kurz: FAST) anbieten, neue Geschäftsmodelle und Zielgruppen. Welche das seien? Er selbst sei überrascht gewesen von den Ergebnissen, doch die Zahlen seien da ganz eindeutig: unterrepräsentierte Genres auf den Streamingkanälen seien Horror, Science Fiction und Fantasy – Angebot und Nachfrage klafften hier besonders weit auseinander. Wer also einen eigenen FAST-Channel plane, könne hier ein vielversprechendes Geschäftsmodell finden.