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Blauer Panther

  /  2022   /  Hintergrund: „Ich war Angela Merkel“

Hintergrund: „Ich war Angela Merkel“

Scharlatan mit Schmartfohn

Olli Dittrich treibt den Kampf um Schlagzeilen und Informationshoheit in Medien und Politik auf die Spitze.

Olli Dittrich spielt in „Ich war Angela Merkel“ den Reporter Sandro Zahlemann, der sich auf der Jagd nach Schlagzeilen in einen Skandal manövriert. (c) WDR_beckground tv Daniel Wolcke

Der Comedian und Schauspieler Olli Dittrich lässt mit Sandro Zahlemann eine seiner beliebtesten Kunstfiguren wiederauferstehen. In einer irrwitzigen Story um Angela Merkels Handy und dessen Bedeutung für die Geschicke der Weltpolitik hält er Medien und Politik gleichermaßen den Spiegel vor. Für seine Mockumentary erhält er beim Blauen Panther den Jurypreis in der Kategorie Entertainment.

Identitätsdiebstahl, Amtsanmaßung und möglicherweise sogar Spionage, das sind die Vorwürfe, denen sich der ehemalige ARD-Chefreporter Sandro Zahlemann stellen muss. Der weist natürlich erstmal jegliche Schuld von sich: „Wenn überhaupt, bin ich hier nur Mitschuldiger,“ konstatiert er mit todernster Miene aus der Untersuchungshaft. „Also, eigentlich bin ich Opfer.“

Eine gehörige Portion Sturheit, gepaart mit tragikomischer Selbstüberschätzung, steckt in diesem verbindlich dreinblickenden Reporter mit Mittelscheitel, Schnauzbart und gepflegtem Sächsisch. Man möchte ihm glauben können und zugleich auch wieder nicht – und genau das macht ihn so unwiderstehlich. Sandro Zahlemann ist eine der Kunstfiguren, die sich der Comedian Olli Dittrich für seinen „TV-Zyklus“ ausgedacht und angeeignet hat. Darin persifliert er in nunmehr 12 lose zusammenhängenden Episoden klassische Fernsehformate und deren Personal: Frühstücksfernsehmoderator:innen, intellektuelle Talkshow-Hosts und Investigativreporter:innen – sie alle bekommen ihr Fett weg, doch zieht Dittrich sie niemals nur um der Lacher willen durch den Kakao.

Wigald Boning überreicht Olli Dittrich den Blauen Panther (c) Medien.Bayern Ralf Wilschewski

Logik für Einsteiger:innen: „Ein Scharlatan kann kein Latein.“

Vielmehr hält er sowohl den Medien als auch dem Publikum lustvoll den Spiegel vor und scheint zu fragen: Wie weit sind die einen bereit zu gehen und wie viel sind die anderen bereit zu glauben? In „Ich war Angela Merkel: Das Zahlemann Protokoll“ nimmt Dittrich sich nicht nur die Politberichterstattung vor, sondern auch die moderne politische Kommunikation selbst: Mit dem Dokumentarfilmemacher Falko Korth entwickelte er diesmal eine vermeintlich irre Geschichte über das letzte Regierungsjahr von Angela Merkel – vermeintlich deshalb, weil diese Mockumentary im Stile einer investigativen Reportage plausibel macht, was nicht plausibel sein sollte.

Zahlemann rekapituliert, er habe sich nach einem beruflichen Rückschlag neu orientieren wollen und deshalb ein „Schmartfohn“ gekauft, um ins YouTube-Business einzusteigen. Bald merkte er, dass seine neue Handynummer früher einmal Angela Merkel gehört haben muss: Ständig kamen Nachrichten von Prominenz und Politik bei ihm an und Zahlemanns anfängliche Versuche, den Irrtum aufzulösen, liefen ins Leere – und dann spielte er eben einfach mit und beeinflusste den Bundestagswahlkampf 2021 und diverse andere landes- und weltpolitische Ereignisse per SMS: Markus Söder sägte er in der K-Frage angeblich ab, weil dieser ihm in Jugendjahren die Freundin ausspannte und beim Bundestrainer besorgte er sich ein Ticket für ein Fußball-Länderspiel. An digitalen Nebenschauplätzen verwechselt er obendrein Fernsehkoch Horst Lichter mit Horst Seehofer und glaubt dem Papst erst, dass er kein Schwindler ist, als der seine Nachrichten auf Latein schreibt. Mit Logik für Einsteiger:innen hangelt er sich von Nachricht zu Nachricht.

Tatwaffe Mobilknochen: Ex-Reporter Sandro Zahlemann präsentiert seine Handykollektion (c) WDR/beckground tv/Daniel Wolcke

Mit Freude am Schabernack und Einfühlsamkeit macht Dittrich das Dilemma der Informationsflut greifbar

Damit entlarvt Dittrich den Drang nach Information in Echtzeit, die bürgernah und zugänglich wirkt, aber, gelinde gesagt, fehleranfällig ist. Nicht nur öffnet sie dem kurzen Dienstweg Tür und Tor, sondern bietet auch Mauscheleien die ganz große Bühne. Dittrich macht hier weder vor Politik noch Medien halt, sondern treibt den Kampf um perfekte Schlagzeilen und Informationshoheit mit immenser Freude am Schabernack auf die Spitze. Zahlemanns Dilemma zwischen Sensationslust, Wunsch nach Transparenz und Überforderung angesichts der Nachrichtenflut, sie bewahrt ihn davor, zur Witzfigur zu werden. Olli Dittrich, er ist eben nicht nur Comedian, sondern auch ein einfühlsamer Schauspieler und macht diesen traurigen Tropf Zahlemann zum angeschmierten Jedermann. Auch als ihm die Situation schon lange entglitten ist, versucht er, sein Gesicht zu wahren.

Wie ein Puzzle montiert er tatsächliche Interviews und Pressekonferenzen so zusammen, dass es wirkt, als habe Sandro Zahlemann alias Angela Merkel ihren damaligen Kolleg:innen die Aussagen in den Mund gelegt. Der richtige Zusammenschnitt macht’s und schon wird aus Zahlemanns fiktivem Interview der Beweis für sein Eingreifen in die Bundespolitik. Am heimischen Esstisch sitzt er dann zwischen Ordnern mit ausgedruckten SMS und hält einen alten Mobiltelefon-Knochen mit ausziehbarer Antenne in die Kamera. Die digitale heile Welt, sie ist fragiler als man es wahrhaben möchte, und ihre Betriebsgeschwindigkeit lässt auch den gewieftesten Technikfuchs im Handumdrehen alt aussehen.