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Blauer Panther

  /  2022   /  Hintergrund: „Die Wannseekonferenz“

Hintergrund: „Die Wannseekonferenz“

Eine preiswürdige Zumutung

Das ZDF-Dokumentardrama „Die Wannseekonferenz“ rekonstruiert das historische Ereignis anhand des Originalprotokolls

Die Wannseekonferenz beginnt: In nur 90 Minuten beschließen am 20. Januar 1942 führende NS-Funktionäre die Organisation des systematischen Massenmordes. (c) ZDF/Julia Terjung

Knapp 90 Minuten dauerte die Wannseekonferenz. Sie sollte zum beschämenden Tiefpunkt der deutschen Geschichte werden. Im ZDF lief das Dokumentardrama anlässlich des 80. Jahrestags.

„Dieser Film ist eine Zumutung.“ Mit dieser ungewöhnlichen Jury-Begründung geht „Die Wannseekonferenz“ beim Blauen Panther ins Rennen um den diesjährigen Publikumspreis „Beliebtester Film“. Die Koproduktion von ZDF und Constantin Television rekonstruiert die Zusammenkunft hochrangiger Nazi-Schergen am Vormittag des 20. Januar 1942. Zweck der unspektakulär klingenden „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ in einer Villa am Großen Wannsee, Berlin: die praktische Umsetzung der „Endlösung der Judenfrage“. Das Beratungsgespräch sollte die bereits beschlossene Ermordung der jüdischen Bevölkerung vorantreiben, detailliert ausarbeiten und die beteiligten Staatsorgane koordinieren. Verfasser der Einladung, die an 14 hochrangige SS-, NSDAP- und Behördenvertreter ging: Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und einer der skrupellosesten Gefolgsmänner Hitlers. Knapp 90 Minuten dauerte die Konferenz. Sie sollte zum beschämenden Tiefpunkt der deutschen Geschichte werden. Im ZDF lief das Dokumentardrama anlässlich des 80. Jahrestags.

Entspanntes Parlando in einer Pause vor der Villa am Großen Wannsee: Friedrich Wilhelm Kritzinger (Thomas Loibl, r.) und Dr. Rudolf Lange (Frederic Linkemann, M.) unterhalten sich mit Dr. Eberhard Schöngarth (Maximilian Brückner, l.). (c) ZDF/Julia Terjung

Die Banalität des Bösen

Grundlage des bereits beim renommierten New York Festival ausgezeichneten Films ist das einzig erhaltene Besprechungsprotokoll der Zusammenkunft, ein erschütterndes Zeugnis der Banalität des Bösen und ein Schlüsseldokument des Holocaust. Verfasst hat es Adolf Eichmann, seinerzeit Referent für „Judenangelegenheiten“ und damit für die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland und allen von den Nazis besetzten europäischen Ländern zuständig. Besonders verstörend ist „Die Wannseekonferenz – Als die Menschlichkeit den Krieg verlor“, vor allem deshalb, weil der Film die menschenverachtende bürokratische Routine und Gefühlskälte offenlegt, mit der dieser Massenmord an elf Millionen jüdischen Menschen durchgeplant, beschlossen und schlussendlich „abgewickelt“ wurde. 

Regisseur Matti Geschonneck („In Zeiten des abnehmenden Lichts“) zeigt das Geschehen nahezu in Echtzeit als schnörkelloses Kammerspiel, das die treibenden Kräfte des Holocaust in ihrer ganzen Menschenverachtung entblößt. 15 Bürokraten organisieren in entspannter Atmosphäre und mit eisiger Abgeklärtheit am Konferenztisch mit Wannsee-Blick die sogenannte „Endlösung“. Zwischen Schnittchen, Kaffeekännchen und Cognac-Schwenkern wird parliert, schwadroniert, gescherzt, unaufgeregt über Güterwaggon-Leerfahrten, Arbeitsfähigkeit und Selektion debattiert. Kontingente werden durchgerechnet und Wert auf Effizienz gelegt – ganz so, als ob hier ein simpler Verwaltungsakt optimiert und nicht ein millionenfacher Mord geplant würde. Die Runde diskutiert, ob es nicht „die humanste Lösung wäre, die Juden, sofern sie nicht arbeitsfähig sind, durch irgendein schnell wirkendes Mittel zu erledigen“. Und auf der Terrasse wird leger über die effiziente „Behandlung“ Festgenommener angesichts überfüllter Gettos geplaudert: „Kleiner Waldspaziergang und das war’s.“

Der Film zeigt das Geschehen nahezu in Echtzeit als schnörkelloses Kammerspiel, das die treibenden Kräfte des Holocaust in ihrer ganzen Menschenverachtung entblößt. (c) ZDF/Julia Terjung

Verfilmt nach Originalprotokoll

Inspiriert vom gleichnamigen Theaterstück des Schriftstellers Paul Mommertz rekonstruiert Drehbuchautor Magnus Vattrodt („Ein großer Aufbruch“) das Geschehen an diesem unheilvollen Vormittag eng anhand des Protokolls, fasst das Grauen in an die Nieren gehende Wortwechsel und macht das an sich Unvorstellbare so greifbar. Die Original-Villa, heute eine Gedenkstätte, nutzte der Regisseur dabei lediglich für seine Außenaufnahmen. Die Innenräume ließ er im Studio nachbauen und sie für die Arbeit seiner Film-Crew optimieren. Seiner Inszenierung hat das gutgetan. Die Jury lobte die „genaue Regie“ und die „präzise Kameraführung von Theo Bierkens“. Regisseur Geschonneck und Autor Vattrodt zeigen sich dabei einmal mehr als eingespieltes Team. Bereits mehrfach wurde ihre Zusammenarbeit preisgekrönt, für „Liebesjahre“ (2012) und den Justizthriller „Das Ende einer Nacht“ (2013) erhielten sie den Grimme-Preis.

Beklemmend gut: das „herausragende Schauspielerensemble“ (Jury-O-Ton), darunter Philipp Hochmair als Gastgeber Heydrich, der mit abgebrühtem Dauerlächeln über eine „in der Geschichte einzig dastehende Organisationsaufgabe“ doziert. Johannes Allmayer als lakaienhafter Zahlenjongleur Eichmann versichert der Herrenrunde: „Wir werden ihre Judenprobleme für sie lösen.“ Sätze, die erschüttern, selten machte ein Dokumentardrama derart fassungslos. Oder um es mit den Worten der Jury zu formulieren: „Dieser Film ist eine Zumutung, und doch oder gerade deswegen ein Muss.“