Essay: „Eldorado KaDeWe“
Sehnsuchtsorte und Wunschmaschinen
Julia von Heinz beschwört in ihrer Mini-Serie „Eldorado KaDeWe“ die historischen Implikationen von Realitätsflucht
Mehrteiler über berühmte Berliner Institutionen wie etwa über das Hotel Adlon oder die Charité feierten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zuletzt große Publikumserfolge. Es war daher eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch das sagenumwobene Berliner Kaufhaus KaDeWe und seine dahinterstehende Familiensaga in den filmischen Fokus rücken würden. Das Wagnis unternommen hat die Filmemacherin Julia von Heinz, die sich zuletzt in ihrem Kinofilm „Und morgen die ganze Welt“ mit einer rechtsextremistischen Anschlagsserie auseinandergesetzt hatte und mit großer Direktheit inszenierte. Es sind ebenso direkte und auch heftige Bilder, mit denen die Regisseurin, Drehbuchautorin und Showrunnerin ihren ARD-Mehrteiler „Eldorado KaDeWe“ beginnen lässt. Der Kriegsheimkehrer Harry Jahndorf, Spross der Berliner Kaufmannsfamilie, nimmt es gleich in der Eingangsszene mit Angreifern auf, die es gilt, aus den Räumlichkeiten des familiären Kaufhauses zu vertreiben.
Im Laufe der Erzählung, die uns Zuschauer:innen bis weit hinein in die 1920er-Jahre und darüber hinaus begleitet, wird es nicht die einzige Feindseligkeit gegenüber der jüdischen Familie Jahndorf bleiben. Harry (Joel Basman), der an den Traumata seiner Schützengrabenerfahrung leidet, muss zunächst seinen Platz an der Spitze des Unternehmens zu finden und sich gegenüber dem amtierenden Geschäftsführer Georg Karg (Damian Thüne), der sich in Harrys Abwesenheit etabliert hat, behaupten. Dem Spannungsverhältnis aus Konkurrenz und Freundschaft der beiden Männer widmet sich ein entscheidender Teil der Geschichte in „Eldorado KaDeWe“. Historisch orientiert sich die Miniserie an dieser Stelle an historischen Fakten.
Historische und fiktionale Erzählung sind für Julia von Heinz kein Widerspruch
Ein anderer Teil der Geschichte wiederum ist rein fiktiv. Julia von Heinz erzählt darin die Liebesgeschichte zweier Frauen. Die eine ist Harrys Schwester Fritzi (Lia von Blarer), sie gibt sich mit angestammten Geschlechterrollen nicht zufrieden und möchte die Geschicke der Luxuskaufhausmarke mitbestimmen. Die andere ist die junge Angestellte Hedi (Valerie Stoll), wenn sie nicht in der Kleiderabteilung des KaDeWe arbeitet, kümmert sie sich um ihre jüngere Schwester Mücke (Nele Buchholz), die das Downsyndrom hat. Über Standesunterschiede und Geschlechterbilder hinweg lernen die beiden jungen Frauen sich kennen und bald auch lieben.
Ihre Liebesabenteuer führen Fritzi und Hedi mitunter in die Szene der lesbischen Subkultur Berlins. In langen Nächten lauschen sie Chansons der Sängerin Claire Waldoff („Ach Gott, was sind die Männer dumm“), außerdem macht Fritzi die Bekanntschaft mit den Zeitungsmacherinnen der lesbischen Redaktion „Die Freundin“. Ihre vier Hauptfiguren lässt Julia von Heinz ebenso kontrolliert wie unkontrolliert den Wirren der Zwanzigerjahre entgegentaumeln. Jene Zeit, in der kulturelle Blüte wie politischer Niedergang sich so nah waren, wie sonst wohl in keiner.
Das Unbehagen in der Gegenwärtigkeit von Geschichte
Die Regisseurin belässt es in „Eldorado KaDeWe“ nicht bei der klassischen Kontinuität einer historischen Erzählung, ihr Narrativ angesiedelt im Berlin der 1920er-Jahre, bricht an vielen Stellen immer wieder auf und legt visuelle Finten ins Hier und Jetzt. Dann etwa, wenn ihre Figuren sich in flüchtigen Momenten in den Berliner Straßen des Jahres 2022 zu befinden scheinen und ein Bus der BVG das Straßenbild passiert. Die Ereignisse der Handlung scheinen stets nur einen Blick aus dem Augenwinkel weit entfernt und zeitigen, angesichts aktueller demokratischer Erosionserscheinungen, einen unbehaglichen Effekt. Mit dem Aufkommen der Nationalsozialisten verschlechtert sich auch die Situation der jüdischen Familie Jahndorf zusehends.
Julia von Heinz nimmt mit „Eldorado KaDeWe“ einen zeitlichen Abschnitt zum Gegenstand ihrer Verfilmung, der für das berühmte Kaufhaus Glanz und Niedergang zugleich bedeutet. In den politisch und ökonomisch tumultartigen 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verstand es das KaDeWe wie kein anderes Haus seine Marke zu einem Versprechen für alle zu machen. Auch wenn weite Teile der verarmten Berliner Bevölkerung sich den Einkaufsbummel im Luxustempel nicht leisten konnten. Das KaDeWe erschien als Sehnsuchtsort und Wunschmaschine zugleich.
Kaufhaus und Kino: Sehnsuchtsorte in schweren Zeiten
Der Produktion von Träumen hat sich bekanntermaßen auch eine andere Institution verschrieben: das Kino. Es ist kein Zufall, dass ihm in der Serie eine besondere Rolle zukommt. Im Dunkel des Vorführungssaals verguckt sich Fritzi in die Stummfilmschönheit Louise Brooks und zeigt, dass im queeren Blick auf das Kinogeschehen schon immer ein emanzipatorisches Potenzial steckte. An einem anderen Abend verschlägt es die Protagonist:innen in Robert Siodmaks „Menschen am Sonntag“ und sie sehen darin junge Menschen wie sich selbst, die einfach den Dingen des Lebens nachgehen. Es sind Momente, in denen von Heinz‘ TV-Mehrteiler ganz bei sich ist und man wünscht sich, die Magie dieser Momente möge fortdauern. Längst wissen wir jedoch, dass den Protagonist:innen keine fortdauernde Leichtigkeit in ihrem Leben vergönnt sein wird.
Die finsteren 30er-Jahre ziehen unerbittlich heran und mit ihnen ein unverzeihlicher Vertrauensbruch, der das ökonomische Aus für die Kaufmannsfamilie Jahndorf besiegelt. Julia von Heinz rüttelt an der Stelle schon mal vorsorglich an einem Mythos vom Wirtschaftswunderland und seinem Wohlstand, der nicht einfach so aus dem Nichts einer Stunde Null entstand, sondern allzu häufig erkauft war durch die millionenfache Enteignung jüdischer Bürger:innen. Julia von Heinz zeigt, dass das KaDeWe auch eine zutiefst deutsch-jüdische Geschichte ist, deren Bedeutung heute allzu häufig übersehen wird. Mit ihrer Mini-Serie hat sie dem KaDeWe ein filmisches Denkmal geschaffen, das in seinen flirrenden Momenten noch von weitaus mehr erzählt als von einem Kaufhaus am Kurfürstendamm, dem damaligen Berliner Broadway. Sie erzählt von einem einzigartigen kulturellen Moment, an dem gesellschaftlicher Fortschritt und Regress auf so eigentümliche Weise zusammenfielen, dass die Geschichte sich sowohl zum Guten als auch zum Schlechten hätte wenden können.