Hintergrund: „Zum Schwarzwälder Hirsch – eine außergewöhnliche Küchen-Crew und Tim Mälzer“
Zehn Lektionen zur Inklusion
Herausforderungen kennt Tim Mälzer von „Kitchen Impossible“. In „Zum Schwarzwälder Hirsch – eine außergewöhnliche Küchen-Crew und Tim Mälzer“ nimmt er eine an, an der unsere Gesellschaft scheitert: die Inklusion. Unter seiner Leitung sollen 13 Menschen mit Down-Syndrom lernen, wie man ein Restaurant führt. Was kann man von dem Fernseh-Experiment lernen?
Die UN-Behindertenrechtskonvention stellt klar: Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft ist ein Menschenrecht. Dazu gehört auch das Arbeitsleben. Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verpflichtet Arbeitgeber in Deutschland dazu, fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerbehinderten zu besetzen. Die Realität sieht anders aus. Unternehmen, die keine behinderten Menschen anstellen, zahlen eine Ausgleichsabgabe zwischen 140 und 360 Euro monatlich pro Platz, der nicht besetzt wird. Kleinere Betriebe mit weniger als 20 Angestellten sind von der Pflicht ausgenommen. Auf der anderen Seite entsteht ein zweiter, subventionierter Arbeitsmarkt.
Ein Großteil der schwerbehinderten Menschen arbeitet in speziellen Werkstätten, bei sehr geringem Verdienst. Durch die zwei verschiedenen Arbeitswelten kommen sich Menschen mit und ohne Behinderung im Alltag kaum nahe – das Gegenteil von Inklusion. Die Werkstätten leisten Pionierarbeit: Den Beweis, dass behinderte Menschen kochen und servieren können, haben zahlreiche Gastrobetriebe der Lebenshilfe und anderer Einrichtungen schon lange vor Tim Mälzer geführt. Allerdings meist im Bereich Catering oder Großküche, seltener im Ausflugsrestaurant, und jenseits der großen Bühnen. Tim Mälzer und Schauspieler André Dietz mit ihrer Kamera-Crew und dem Sendeplatz bei RTL geben dem Thema nun, was ihm fehlt: Aufmerksamkeit.
Tim Mälzer macht vor, wie Inklusion gelingen kann
„Zum Schwarzwälder Hirsch – eine außergewöhnliche Küchencrew und Tim Mälzer“, nennt zuerst die Crew und dann den Promi-Koch. Und tatsächlich wird Mälzer im Lauf der drei Folgen zum Nebendarsteller. Denn die Challenge, an der er sein Publikum teilhaben lässt, soll ihn und sein Team innerhalb von drei Monaten überflüssig werden lassen: Die 13 Teilnehmer:innen, die alle Down-Syndrom haben, sollen den Laden danach weitgehend alleine schmeißen können.
Die Inklusions-Lektionen Nummer eins bis drei: Gehe selbst mit gutem Beispiel voran, fördere Selbstständigkeit, keine Angst vor großen Zielen.
Soweit die Theorie vor dem eigentlichen Beginn. Dass die Praxis dieser nur bedingt folgt, trägt dazu bei, dass „Zum Schwarzwälder Hirsch“ so unterhaltsam ist. Die Teilnehmer:innen gemäß ihrer Stärken und Schwächen in der Küche oder im Service einzuteilen, geht noch relativ reibungslos und lehrt nebenbei
Lektion Nummer vier: Niemand muss alles können.
Mit behinderten Menschen arbeiten, heißt Arbeitsabläufe verbessern
Doch dann lassen Mälzer und Co. die Küchen-Crew alleine kochen. Sie glauben, gut vorbereitet zu sein, haben Rezepte in Fotos übersetzt, um der Leseschwäche gerecht zu werden, und farbige Messbecher ersetzen das Abwiegen, weil auch Zahlen schwierig sind. Weil aber der Drucker die Farben schlecht wiedergibt und die Teilnehmer:innen nicht ganz eindeutige Fotos eins zu eins nachahmen, statt zu interpretieren, enthält der Kartoffelsalat am Ende zwar Kartoffeln, Zwiebeln, Essig und Gewürze, aber leider in ungenießbarer Kombination und Form. Im Service läuft es bei der Premiere kaum besser: zu viel Stress, auch durch die Filmcrew und Teamleitung. Dennoch kein Grund zum Aufgeben, sondern für Reflexion der Abläufe, für kleine Hacks, mit denen sich die Arbeit besser für alle anpassen lässt.
Die Lektionen fünf bis sieben: Bleib geduldig und flexibel, denn es kommt sicher anders und dauert länger.
Menschen haben nicht nur eine Behinderung, wir alle werden behindert – durch Umstände, die man ändern kann. „Versuch macht kluch,“ wie es im Volksmund so schön heißt
Schön anzusehen ist „Zum Schwarzwälder Hirsch“ auch wegen seiner Charaktere. Die Reality-Doku findet unter den 13 Teilnehmer:innen problemlos höchst individuelle Persönlichkeiten. Ihre Protagonist:innen sind auch, aber nicht nur, was mitunter abschätzig verhaltensauffällig genannt wird. Eine Eigenschaft, die im Entertainment bekanntlich nie schadet, die viele Personalverantwortliche in einer durchgenormten Berufswelt aber offenbar vor mehr Inklusion zurückschrecken lässt. Doch die Produktion nimmt die Menschen auch als Personen mit eigenen Bedürfnissen ernst. Mitunter verteidigt sie diese auch gegen diejenigen, die nur das Beste für ihre behinderten Angehörigen wollen. Als die Eltern von Ayla-Marie auf den Campingplatz in der Nähe des Restaurants ziehen, respektiert die Produktion den Wunsch der Tochter nach mehr Distanz ebenso wie später den von Jan Wittig, der das Praktikum kurz vor dem Ziel trotz großer Erfolge abbrechen will.