Essay: „Kleo“
Rache bricht Regeln
Die Serie „Kleo“ mischt die Karten des Revenge-Genres neu
Die deutsche Netflix-Serie „Kleo“ versetzt das Rache-Genre in eine Zeit, in der die Berliner Mauer schon gefallen, die DDR aber noch nicht abgewickelt ist. Das Motiv der Rache reicht dabei geschichtlich noch weit vor die Erfindung des Kinos zurück.
Bevor man einen Rachefeldzug antritt, bedarf es einer triftigen Motivation dafür. Für Kleo (Jella Haase), ehemals Agentin der Stasi, liegt diese auf der Hand: Ihren letzten Auftrag hat sie wie bestellt ausgeführt, die Zielperson liegt tot in einer West-Berliner Toilette. Doch statt dass man ihr einen Orden an die Brust heftet, sperrt man sie wegen Hochverrats ein. Die treue Tschekistin weiß nicht, wie ihr geschieht.
Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad, die auch hinter der Serie „4 Blocks“ stehen, verlegen gemeinsam mit Elena Senft das Rache-Genre in die DDR zur Wendezeit. Ein Genre, das man kaum in Deutschland verorten würde, egal ob Ost oder West. Rache kommt hierzulande allenfalls als Tatmotiv in einem der zahllosen Krimis vor. Rachegefühle werden nicht gefeiert, sondern reguliert. Am Ende erinnern Fernsehpolizist:innen das Publikum in der Regel an rechtsstaatliche Grenzen. Kein Privatmensch darf Rache üben, selbst der Staat darf es nicht, so zumindest das Ideal in einer modernen bürgerlichen Demokratie. In „Kleo“ löst sich der alte Staat gerade auf, der neue ist noch nicht da – ein gutes Umfeld also, um weitgehend ungestört Selbstjustiz zu üben.
Prominent ist das Rache-Genre in Südkorea, das wegen seiner jahrzehntelangen Teilung gerne mit Deutschland verglichen wird. Popkulturell punktet das Land allerdings weniger mit seiner eigenen Geschichte, als mit von Kunstblut getränkten Erzählungen. In Park Chan-wooks „Oldboy“ (2003), der mittlere und bekannteste Film seiner Rache-Trilogie, ist ein Mann 15 Jahre ohne erkennbaren Grund eingesperrt, und hat hinterher vor allem im Sinn, es den dafür Verantwortlichen heimzuzahlen. So lange muss Kleo nicht auf ihre Vergeltung warten.
Geschichtliches Setting ohne historischen Anspruch
Nach drei Jahren Haft fällt die Berliner Mauer, politische Gefangene werden begnadigt. Kleo hat alles verloren: Den Glauben an die Deutsche Demokratische Republik, die nur noch ein paar Monate bestehen wird, ihren Liebhaber und ihre Familie, die beide Teil des Systems waren, und ihr ungeborenes Kind. Sogar in ihrer Wohnung wohnt jetzt ein zugedröhnter Raver, natürlich ein Wessi. Man könnte aus einer solchen Situation ein lehrreiches Wendedrama stricken, doch das will „Kleo“ ganz und gar nicht sein.
Mit historischen Vorbildern nimmt die Serie es in etwa ebenso wenig genau wie Quentin Tarantinos Rachefilme „Inglourious Basterds“ (2009) und „Django Unchained“ (2013). Die historischen Vorlagen erfüllen hier wie da eine ähnliche Funktion: Das Unrecht des politischen Systems, ob nun bei Tarantino die Naziherrschaft beziehungsweiße die Sklaverei oder bei „Kleo“ das Stasi-System, lässt die Rachefeldzüge im Umkehrschluss noch gerechter erscheinen. Die jeweilige Zeit gibt einen visuellen Rahmen vor und schafft Verknüpfungen zu anderen Genres. In „Kleo“ entwickelt sich schließlich Erich Mielkes roter Koffer, den es wirklich gab, zu einem hervorragenden MacGuffin, dem man acht Folgen lang hinterherjagen kann.
Rache ist ein moralisches Dilemma
Was bei keiner Rache-Geschichte fehlen darf, ist die Warnung, dass Rache nicht glücklich macht, wenn nicht sogar erst recht ins Unglück führt. Kleos Großvater Otto Straub (Jürgen Heinrich) spricht diese nicht ganz uneigennützig aus. Ihm geht es darum, weitere Recherchen seiner Enkelin in die Verstrickungen der Stasi zu unterbinden. Doch auch wenn die Rache die vermeintlich Richtigen trifft, gilt sie heute als moralisch verwerflich. Nicht nur Diktaturen erklären sie als sozial unerwünscht. Wer vernünftig ist, hat schon im Kindergarten gelernt, dass Rache kein Unrecht ungeschehen machen kann.
Trotzdem oder vielleicht gerade weil sie gesellschaftliche Regeln brechen, sind Rache-Erzählungen seit jeher beliebt. Bei der Wahl der Methoden waren die Rachenehmenden dabei nie zimperlich: Im griechischen Mythos rächt Procne die Vergewaltigung ihrer Schwester Philomena durch Procnes Ehemann Tereus, indem sie ihren gemeinsamen Sohn umbringt, kocht und dem nichts ahnenden Tereus serviert. Kleos Vendetta kommt ohne solche Kollateralschäden unter unschuldigen Kindern aus, doch auch in der Serie gehört es dazu, die Feinde mit kreativen Methoden zu überraschen. Die beste Rache darf man nun mal nicht kommen sehen.
In einer weiteren ethischen Frage weicht „Kleo“ vom Muster ab. Das Motiv der sexuellen Gewalt, die es zu rächen gilt, zieht sich von der Antike bis heute und durch die gesamte Filmgeschichte. Es ist etwa in Ingmar Bergmanns oscarprämiertem Film „Die Jungfrauenquelle“ (1960), in „Das letzte Haus links“ (1972), „Irréversible“ (2002), „Kill Bill“ (2003) und unzähligen weiteren zu finden. Insbesondere die meist billig produzierten Rape-and-Revenge-Filme der 1970er- und 1980er-Jahre sind dabei höchst ambivalent. Ganz Exploitation-Kino ergötzen sie sich zunächst an der sexuellen Demütigung der Frauen, um anschließend deren Emanzipation von der Opferrolle beim Comeback als Rache-Engel zu feiern. „Kleo“ führt vor, dass es kein Verlust ist, mit der Genre-Regel zu brechen und auf diese zweifelhafte Motivation zu verzichten. Denn schließlich gilt auch im Rache-Genre: Der Weg ist das Ziel.