Unsere Träger:
Image Alt

Blauer Panther

  /  2022   /  Essay: „Army of Thieves“

Essay: „Army of Thieves“

Von Meisterdieben und Filmdrehs

Was Heist-Movies wie „Army of Thieves“ und das Filmemachen miteinander zu tun haben

Profi auf allen Ebenen: Matthias Schweighöfer leistet in „Army of Thieves“ vor und hinter der Kamera Präzisionsarbeit – Cr. Stanislav Honzik/ Netflix (c) 2021

Mit Matthias Schweighöfers „Army of Thieves“ wird ein Film mit den Publikumspreis des Blauen Panthers ausgezeichnet, dessen Genre in Deutschland Seltenheitswert hat: ein Heist-Movie, das einen spektakulären Bankraub begleitet. Über ein Genre, das wie kaum ein anderes als Metapher auf das Filmemachen selbst verstanden werden kann.

Am Anfang des Netflix-Films „Army of Thieves“ kommt es zu einer Szene, die Regisseur und Schauspieler Matthias Schweighöfer so ähnlich in seiner Karriere schon oft selbst erlebt haben muss: Sein Charakter Sebastian, ein ambitionierter Hobby-Tresorknacker, nimmt an einem Casting teil. Natürlich ist es kein Schauspieler-Casting, sondern ein konspirativ organisierter Safeknacker-Wettbewerb, den Kriminelle zum Talent-Scouting für ihren nächsten Coup nutzen. Der Zweck ist allerdings der gleiche wie beim Vorsprechen von Schauspieler:innen: Nur wer die Prüfung besteht, bekommt den Job.

Es ist eine ungewöhnliche Szene für ein Heist-Movie. So heißt das Filmgenre, das nach dem amerikanischen Wort für Raubüberfall benannt ist und immer wieder ausführlich von ebendiesen erzählt. „Ich habe mir jeden Film seit den Sechziger Jahren angesehen, in dem es um einen Raubüberfall geht“, sagt Regisseur und Schauspieler Matthias Schweighöfer über die Vorbereitung, „und es gibt sehr viele Filme über Raubüberfälle.“ Aus Deutschland kommen diese Filme allerdings eher selten.

Oft sind in Filmen des Genres, wie etwa in „Ocean’s Eleven“, den französischen „Rififi“-Thrillern aus den Fünfziger Jahren oder „The Italian Job“, die Hauptfiguren zu Beginn des Films bereits als Gangster und Meisterdiebe etabliert. Ihre Biografien werden gerne in Rückblenden zusammengefasst. Als Prequel zu Zack Snyders „Army of the Dead“ ist „Army of Thieves“ eine Rückblende in Spielfilmlänge. Die britische Gaunerkomödie „Charlie staubt Millionen ab“ aus dem Jahr 1969 mit Michael Caine in der Hauptrolle inspirierte den Film.

 
Übung macht den Meister: Dieter tüftelt in jeder freien Minute an Tresorschlössern – Cr. Stanislav Honzik/ Netflix (c) 2021

In „Army of Thieves“ sind Profis am Werk – vor und hinter der Kamera

Für den perfekten Bankraub, für die gelungene „Mission Impossible“ braucht es im Film stets ein Team von hochkarätigen Spezialist:innen. Entsprechend wichtig ist die Auswahl der Charaktere für ein Heist-Movie. Üblicherweise bringen die Beteiligten ganz spezifische Qualifikationen mit, ohne die das Unterfangen nicht gelingen kann. Schweighöfers Sebastian also ist Experte für Tresore, besonders für die des legendären Tresorbauers Hans Wagner, die es im Film natürlich zu knacken gilt. Genauso wie das Unterfangen in „Army of Thieves“ nur gelingen kann, wenn Profis zusammenarbeiten, ist jede Filmproduktion das Ergebnis   von Teamwork: In beiden Metiers braucht es eine Vielzahl von Expert:innen für das Gelingen des Projekts.

Und es gibt viele weitere Parallelen. Das Drehbuch entspricht der Blaupause der Tresorräume und dem Plan, ungesehen rein und wieder raus zu kommen, der eigentliche Coup entspricht dem Dreh und Matthias Schweighöfer muss in diesem Vergleich als Regisseur von „Army of Thieves“ das Mastermind hinter der Ausführung des Raubs sein, das fest im Stellenplan jedes Heist-Movies verankert ist. Der nerdig komische Deutsche Tresorknacker aus „Army of the Dead“ war schließlich interessant genug, dass für ihn ein Prequel beauftragt wurde. Prägnante Charaktere wie Sebastian schaffen in der genretypisch oft sehr ähnlichen Rahmenhandlung Wiedererkennungswert: Ein Raub wird geplant, es tauchen Hindernisse auf, die letztendlich aber überwunden werden.

 
In seinem Element: Der nervöse Dieter wird im Einsatz zum Leistungsträger der „Army of Thieves“ – Cr. Stanislav Honzik/ Netflix (c) 2021

Ob Filmdreh oder Bankraub: Gute Organisation ist alles

Insbesondere die Planung und Vorbereitung des Raubs nimmt eine wichtige Rolle in Filmen des Genres ein. Beim Dreh eines Films ist wiederum die Vorproduktion enorm wichtig, in ihr steckt ein Großteil der Arbeit. Weder am Filmset noch im Tresorraum der Bank will man auf größere Überraschungen stoßen – und tut es doch immer wieder. Der eigentliche Raub ist der dramatische Höhepunkt jedes Heist-Movies, auch wenn er zeitlich oft nicht den größten Raum einnimmt. Analog ist der Dreh eines jeden Films dessen größte Risikophase. Hier könnte noch einmal alles schief gehen. Doch auch wenn es immer noch einmal knapp wird: Am Ende kommen Diebe doch noch mit ihrer Beute davon und Filme werden auf wundersame Weise fertig.

Damit kein Missverständnis entsteht: Es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen der Produktion eines Films und der Darstellung eines Bankraubs im Film. Die Filmindustrie ist kein kriminelles Geschäft, sie arbeitet völlig legal, wenngleich es dabei ebenso wie im Heist-Movie um viel Geld geht. Doch der Film zelebriert die Faszination für Gangster und Diebe immer wieder gerne. In Bankraubfilmen liegt die Sympathie des Publikums ganz bei den Gangstern.

 
Gauner und Gentleman: Heist-Movies wie „Charlie staubt Millionen ab“ mit Michael Caine inspirierten „Army of Thieves“ – Cr. Stanislav Honzik/ Netflix (c) 2021

Streaming ermöglicht Heist-Movies aus Deutschland

Vielleicht ist auch das der Grund dafür, dass Deutschland, wo sich viele Auftraggeber einem gesellschaftlichen Auftrag verpflichtet fühlen, bisher noch relativ wenige Filme des Genres hervorgebracht hat. In Hollywood war es den strengen moralischen Regeln des sogenannten „Hays Code“, der bis in die Sechziger Jahre galt, zu verdanken, dass die Kriminellen in den frühen Heist-Movies nicht ungeschoren davonkommen durften. So werden etwa auch die Meisterdiebe aus John Houstons Klassiker „Asphalt-Dschungel“ (1950), der als erster richtiger Film des Genres gilt, am Ende geschnappt, sofern sie nicht sterben. Und auch in späteren Filmen bestehlen die Diebe gerne andere zwielichtige Figuren oder planen zumindest, sich nach ihrem letzten Coup zur Ruhe zu setzen, was wie ein moralischer Rettungsanker wirkt.

In „Army of Thieves“ schaut man nun dem Beginn von Sebastians Karriere als hochqualifiziertem Dieb zu. Dass ein Heist-Movie auch aus Deutschland kommen kann, wo man traditionell mehr an der Perspektive der Polizist:innen in unzähligen Krimis interessiert ist, hat sicher auch mit dem Aufkommen der Streaming-Dienste zu tun. „Die Nachfrage von Streamern ermöglicht, andere als die üblicherweise in Deutschland erfolgreichen Genres zu produzieren“, sagt der Ausführende Produzent Frank Kusche. „Das liegt unter anderem daran, dass die Auswertung weit über die Deutschen Grenzen hinaus funktioniert.“

Bevor Matthias Schweighöfer für Netflix „Army of Thieves“ drehte, führte er bei der Thriller-Serie „You Are Wanted“ für Prime Video Regie. Diese spielte im Hackermilieu und ließ schon einige Genre-Elemente aufblitzen. Und vielleicht ist es prophetisch, dass Sebastian im Film als eine Art Influencer auftritt, der in Youtube-Videos Tresore knackt. Wenn Heist-Movies vom Filmemachen erzählen, dann erzählen sie heutzutage eben auch vom Medienwandel.